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#1 Martinas Selbstständigkeit

𝗨𝗻𝗴𝗲𝗽𝗹𝗮𝗻𝘁𝗲𝗿 𝗪𝗲𝗴 𝘇𝘂𝗺 𝗲𝗶𝗴𝗲𝗻𝗲𝗻 𝗕𝘂𝘀𝗶𝗻𝗲𝘀𝘀


Mein erster Interview Gast meiner Interview-Reihe rund um das Thema Selbstständigkeit, Martina Ruiß, berät heute als Talent Advisor und Interim People Lead Investoren und Startups in Sachen People-Strategie, Recruiting und skalierbare HR-Prozesse. Dabei war ihr Einstieg in die Selbstständigkeit gar nicht geplant.


"Selbstständigkeit stand eigentlich nie auf dem Plan."

Martina Ruiß, Talent Advisor
Martina Ruiß, Talent Advisor

Nach ihrer Zeit bei Personio, wo sie das Wachstum von 50 auf 1.500 Mitarbeitende verantwortete, hat sich Martina eine sechsmonatige Auszeit genommen, um anschließend direkt in eine neue Festanstellung zu wechseln. Doch kurz vor ihrem geplanten Start rief der CEO an: Die Stelle fiel der Krise zum Opfer. Statt einzusteigen und ein Team aufzubauen, stand sie plötzlich ohne Job da - inmitten eines stagnierenden Arbeitsmarkts.


Dann kam der Zufall ins Spiel. Ein Unternehmen hörte von ihrer Situation und bot ihr ein kleines Projekt für zwei Monate an. Kurz darauf folgte das nächste. Was anfangs nur eine Überbrückung sein sollte, wurde zur echten Alternative.


"Ich habe gemerkt, wie viel Spaß es macht und welche Vorteile es für mich gegenüber der Festanstellung hat."

Heute sagt sie selbst, dass sie ohne diesen Schubs nicht den Mut gehabt hätte, den Schritt zu wagen. Ihr ehemaliger CEO hat bis heute ein schlechtes Gewissen aber Martina nimmt es mit Humor: „Ich habe ihm schon gedankt… sonst hätte ich es nie gemacht!“


Welche Herausforderungen sie meistert, welche Vorteile sie gegenüber der Festanstellung sieht, wie sie sich organisiert, und viele weitere spannende Einblicke zu ihrer Selbstständigkeit hat sie mir im Interview am 28.01.2025 berichtet.


Welche Erfahrungen aus der Festanstellung helfen Dir in der Selbstständigkeit?


"Bei McKinsey habe ich gelernt, stets lösungsorientiert zu arbeiten, kritisch zu hinterfragen und zu verstehen, warum Dinge so sind, wie sie sind. Das hilft mir heute, mich schnell in neue Umfelder einzuarbeiten und rasch die  Probleme zu erkennen. Personio war ein extrem schnelllebiges Umfeld. Dort habe ich gelernt, Dinge nicht überzukomplizieren, pragmatische Lösungen zu finden und auch in Unsicherheiten Entscheidungen zu treffen. Vor allem habe ich ein tiefes Verständnis dafür entwickelt, wie Startups funktionieren und was es braucht, um eines aufzubauen – und genau in diesem Bereich bewege ich mich heute größtenteils. Viele dieser Erfahrungen nutze ich täglich in meiner Arbeit."


Wo siehst Du für Dich die größten Vorteile der Selbstständigkeit im Vergleich zur Festanstellung?

"Was für mich entscheidend ist, ist die enorme Flexibilität der Selbstständigkeit. Ich kann meine Zeit frei einteilen, Themen auswählen und auch mal Nein sagen, wenn mir ein Projekt nicht zusagt. Darüber hinaus lernt man unglaublich viel. Man arbeitet mit vielen verschiedenen Persönlichkeiten, jedes Unternehmen tickt anders, man bekommt Einblicke in unterschiedliche Märkte, und jedes Unternehmen steht vor eigenen Herausforderungen. Dadurch sammelt man in kurzer Zeit extrem viele neue Erfahrungen – und genau das schätze ich sehr.


Bei Personio lag der Fokus zum Beispiel immer auf Wachstum und Aufbau. Heute arbeite ich mit Unternehmen, bei denen es eher um Effizienzsteigerung oder sogar Abbau geht – und auch daraus lerne ich wieder völlig neue Dinge. Außerdem weiß ich, dass ein Projekt zeitlich begrenzt ist. Wenn ich merke, dass es kulturell nicht zu 100 % passt, gebe ich trotzdem mein Bestes – und es ist auch völlig in Ordnung, wenn sich die Wege nach dem Projekt wieder trennen."


Was fordert Dich in der Selbstständigkeit heraus?


"Die Unsicherheit. Eigentlich bin ich ein sehr sicherheitsorientierter Mensch. Tatsächlich arbeite ich jedoch mit relativ kurzer Vorlaufzeit und weiß oft erst kurz vor dem Ende eines Projekts, was als Nächstes kommt - und manchmal gibt es eben auch Pausen zwischen Projekten. Das hat mir gerade zu Beginn meiner Selbständigkeit Sorgen bereitet, denn man verdient nunmal nur Geld, wenn man arbeitet.


Zudem fehlt mir manchmal ein festes Team, mit dem man vertraut ist. Und darüber hinaus hat man hohe Ausgaben, insbesondere wenn man sich gut absichern möchte. Man muss einfach mehr verdienen als in einer Festanstellung, um dem gerecht zu werden."


Wie gehst Du mit der Unsicherheit um?


"Mittlerweile besser, aber es ist etwas, das mich immer wieder zum Nachdenken bringt. Bei größeren Interimsprojekten bin ich zwei bis drei Tage pro Woche im Unternehmen, und diese sichern meine finanzielle Grundlage. Mentoring-Mandate machen mir zwar großen Spaß, bringen aber kleinere Beträge ein und reichen allein nicht aus, um mich zu finanzieren. Das bedeutet, dass ich regelmäßig große Projekt brauche, um finanziell gut aufgestellt zu sein – gleichzeitig kann ich aber auch nur ein großes Projekt parallel stemmen, da meine Zeit begrenzt ist und ich als Einzelperson nicht skaliere.


Ein Beispiel: Mein zweites geplantes großes Projekt wurde zwei Tage vor dem geplanten Start plötzlich abgesagt. Mich hat das aus der Bahn geworfen und ich dachte ernsthaft darüber nach, wieder in eine Festanstellung zu wechseln – nur um zwei Tage später einen Anruf für ein neues Projekt zu bekommen. Plötzlich hatte ich das gegenteilige Problem und dachte, ich bräuchte Mitarbeitende, um das Projekt abbilden zu können. Diese Schwankungen haben mich anfangs wahnsinnig gemacht.


Mit der Zeit habe ich aber verstanden, dass es eine gewisse Saisonalität im Markt gibt. Meistens gibt es im ersten Halbjahr mehr Nachfrage, weil Unternehmen dann Budgets sowie eine Strategie haben, die es umzusetzen gilt. Im zweiten Halbjahr ist es oft etwas ruhiger, da viele Unternehmen an der Planung für das nächste Jahr arbeiten – Budget, Hiring Planung, Strategie etc. Dabei sind sie meist gut ausgelastet und es ist noch nicht klar, ob sie das Budget für externe Unterstützung bekommen. Dieses Wissen der Saisonalität habe ich versucht nun besser zu nutzen: Ich arbeite im ersten Halbjahr intensiver und lege meinen Urlaub eher ans Jahresende.


Finanziell gesehen hilft es, nicht von Monat zu Monat zu denken, sondern aufs Gesamtjahr zu schauen. Die Einnahmen schwanken. Wenn ich Urlaub nehme, verdiene ich in diesem Monat nichts – aber das ist völlig in Ordnung, weil es sich über das Jahr ausgleicht. Entscheidend ist, das große Ganze im Blick zu behalten."


Wie gewinnst Du neue Kunden?


"Bisher kamen nahezu alle Projekte über mein Netzwerk und Empfehlungen – häufig auch über Investoren. Zwar habe ich eine Website, aber darüber wurde ich nur ein einziges Mal kontaktiert. Mein Geschäft basiert also fast ausschließlich auf persönlichem Austausch und Empfehlungen.


Als es eine Phase gab, in der nicht direkt eine neue Projektanfrage kam, habe ich mein Netzwerk bewusst und strategisch genutzt. Ich habe eine Liste von Investoren erstellt, die vorrangig Series A und B Finanzierungen in SaaS Unternehmen tätigen. Dann habe ich eine kurze, persönliche E-Mail an relevante Investoren geschickt, in der ich mich und meine Arbeit vorgestellt habe.


Darüber sind einige wertvolle Kontakte entstanden – nicht sofort mit konkreten Projekten, aber langfristig mit Wirkung. Das ist jetzt etwa 1,5 Jahre her, und immer wieder kommen daraus neue Verbindungen zustande, die inzwischen auch zu Projekten geführt haben.


Zusätzlich habe ich für zwei Investoren Webinare zum Thema Hiring für deren Portfoliounternehmen gegeben, natürlich auch mit dem Ziel, dass sie mich als potenziellen Berater kennenlernen."


Wie organisierst Du Deinen Arbeitsalltag?


"Dabei gibt es zwei Perspektiven:


Die erste betrifft meine Kunden. In der Regel arbeite ich mit definierten Wochentagen, z. B. drei Tage pro Woche für einen bestimmten Kunden, während ich die restlichen Tage für andere Projekte nutze. In der Praxis ist das allerdings nicht immer strikt umsetzbar, da ich mich letztlich an den Bedürfnissen meiner Kunden orientiere. Wenn ein Kunde nur an anderen Tagen für Gespräche verfügbar ist, passe ich mich oft an – dennoch versuche ich, eine gewisse Struktur beizubehalten. Am Anfang fiel mir das schwer, aber mittlerweile gelingt es mir besser, meinen Fokus zu halten und nicht ständig zwischen unterschiedlichen Themen zu springen.


Die zweite Perspektive betrifft meine persönliche Arbeitsweise. Ich bin kein Morgenmensch und starte meine Meetings daher am liebsten ab 10 Uhr. Früher habe ich mich ausschließlich nach den Kalendern meiner Kunden gerichtet. Das führte oft dazu, dass mein Tag mit vielen Leerlaufzeiten zwischen den Calls zerstückelt war – in denen ich aber nicht wirklich produktiv arbeiten konnte.

Inzwischen strukturiere ich meine Termine so, dass ich meine Calls möglichst gebündelt zwischen 10 Uhr und dem frühen Nachmittag lege. So bleibt mir am Nachmittag mehr ungestörte Zeit für konzeptionelle Arbeit. Zudem bin ich abends besonders produktiv und arbeite gerne noch einmal intensiv an bestimmten Themen. Diese bewusste Strukturierung hat meinen Arbeitsalltag enorm verbessert."


Welche Deiner Eigenschaften helfen Dir am meisten in der Selbstständigkeit?

"Mir fällt es meistens leicht, Beziehungen aufzubauen und Vertrauen zu gewinnen. Ich begegne Menschen mit Empathie, lasse mich wirklich auf sie und ihr Unternehmen ein, anstatt einfach nur Standardlösungen oder Toolkits durchzuziehen.


Zudem arbeite ich sehr lösungsorientiert und analytisch – ich fokussiere mich darauf, pragmatische Ansätze zu finden, statt Dinge unnötig zu verkomplizieren."


Mit welchen Tools organisierst Du Dich?


"Für meine eigene Organisation nutze ich vor allem Notion. Dort dokumentiere ich alles – von potenziellen neuen Kunden und Partnerschaften bis hin zu Steuerangelegenheiten. In der Selbstständigkeit gibt es viele administrative Aufgaben neben der eigentlichen Arbeit, und ich habe gelernt, dass eine saubere Dokumentation extrem wichtig ist, um nichts zu vergessen. Außerdem nehme ich mir bewusst Zeit, um meine Arbeit für Unternehmen – zum Beispiel Career Frameworks - nachzubearbeiten. Ich überlege, wie ich daraus wiederverwendbare Templates erstellen kann, die ich langfristig und auch für andere Unternehmen weiterentwickeln kann. Diese Investition lohnt sich: Sie spart mir später Zeit und reduziert die Kosten für Unternehmen, da ich bereits mit erprobten Lösungen starte."


Wie sieht Deine Zusammenarbeit mit dem Kunden üblicherweise aus?


"Das hängt vom jeweiligen Beratungs- oder Interimsprojekt ab. Zu Beginn bespreche ich mit dem Kunden die Schwerpunkte, auf die ich mich fokussieren soll. Viele wissen anfangs noch gar nicht genau, was sie eigentlich brauchen, sondern können eher sagen, was nicht gut läuft. Deshalb verschaffe ich mir zunächst einen eigenen Überblick über die Situation, frage nach Prozessen, Daten, führe viele Gespräche.. Anschließend formuliere ich eine klare Problemstellung und meine konkreten Lösungsvorschläge – idealerweise bereits mit Blick auf das gewünschte Endergebnis, das ich erarbeiten kann. Danach setze ich mich mit meiner Ansprechperson zusammen, um Feedback einzuholen und sicherzustellen, dass wir auf dem richtigen Weg sind."


Bei welchen Themen hast du dich innerhalb der Selbstständigkeit weiterentwickelt?


"Vor allem in meiner Zeiteinteilung – und ich bin deutlich schneller in verschiedenen Themen geworden. In meinen Projekten wiederhole ich selten genau das, was ich zuvor in einem anderen Unternehmen gemacht habe, aber ich muss das Rad auch nicht jedes Mal neu erfinden. Über die Zeit baut man sich ein Portfolio aus Frameworks und Vorlagen auf, wodurch man effizienter wird und die Qualität steigt. Schließlich habe ich viele dieser Themen bereits mehrfach durchdacht und umgesetzt.


Anfangs fiel es mir schwer einzuschätzen, was in einem gesetzten Zeitrahmen realistisch machbar ist. Heute kann ich das deutlich besser beurteilen. Und ich setze lieber etwas niedrigere Erwartungen – und übertreffe sie dann im besten Fall."


Willst Du weiterhin selbstständing bleiben?


"Ich habe all meine bisherigen internen Positionen sehr genossen. Zwar ist im Moment  die Selbstständigkeit genau das, was ich machen möchte. Trotzdem kann ich mir vorstellen, in Zukunft ggf. auch wieder eine interne Rolle zu übernehmen, wenn sich eine wirklich spannende Gelegenheit ergibt. Ich habe mir da kein festes Ziel gesetzt – für mich ist es entscheidend, dass ich glücklich bin mit dem, was ich tue, und dass es sich gut mit meinem Privatleben vereinbaren lässt bzw. es bereichert.


Ich habe für mich herausgefunden, was mir aktuell guttut und wie ich gerade leben und arbeiten möchte. Wie dies in fünf Jahren aussieht, wird sich noch rausstellen."

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Hintergrund zur Interviewreihe rund um das Thema Selbstständigkeit:

Ich bin nun seit das 4 Jahren selbstständig und dies war für mich die beste Entscheidung. In den letzten Monaten habe ich immer wieder Fragen zu meiner eigenen Reise in die Selbständigkeit bekommen: zu meinen Gründen, Erfahrungen, Herausforderungen und den Schritten, die ich gegangen bin. Das hat mich inspiriert, einen Weg zu schaffen, um nicht nur meine Perspektiven, sondern auch die wertvollen Erfahrungen anderer Selbständiger mit euch zu teilen.


Was erwartet Euch: Inspirierende Gespräche, ehrliche Einblicke, wertvolle Tipps und jede Menge Learnings von Menschen, die ihren eigenen Weg gehen. Mein Ziel ist es, einen echten Mehrwert zu schaffen, für alle, die selbstständig sind, es werden wollen oder Interesse an dem Thema haben.



 
 
 

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